In einer Facebook-Gruppe fragte kürzlich ein Instagrammer, warum er bei einer Bilderserie, die auf einem Account gepostet wurde, nicht das erste Bild der Serie angezeigt bekam, sondern das zweite. Damit werde die Serienbildfunktion auf Instagram doch sinnlos. Ein Instagram-Mitarbeiter erklärte daraufhin, nach welchem Prinzip die Bilder „ausgespielt“ werden: Wenn das erste Bild einer Serie dem Account schon einmal ausgespielt worden sei, dann werde das zweite gezeigt usw. Darauf antwortete der Nutzer, er könne sich nicht daran erinnern, das erste Bild überhaupt gesehen zu haben.
Schön "ausgespielt". Dieses Bild wurde von vielen meiner Follower gesehen.
Das Wort „ausspielen“ ist gut gewählt, weil Instagram eben nicht einfach nur Bilder zeigt, sondern mithilfe eines Algorithmus entscheidet, welche Bilder in welcher Reihenfolge im eigenen Feed zu sehen sind. Hinter diesem „(Aus-)Spielen“ steckt der Spielbegriff der Spieltheorie, also einer mathematischen Theorie, die Entscheidungssituationen modelliert, in denen mehrere Akteure miteinander interagieren.
Was aus der mathematischen Modellierung der Reihenfolge von Inhalten folgt, ist für Instagram-Nutzer*innen jedoch nicht immer nachvollziehbar. Wieso werden mir zehn Fotos des Fubiz-Accounts nacheinander angezeigt, wenn ich dem Account zwar folge, aber selten eines seiner Bilder like? Um dieser offensichtlichen Intransparenz zu begegnen, hat Instagram zumindest bei Bildern und Videos, die auf der Explorer-Page angezeigt werden, eine Begründung dafür eingefügt, z. B. weil man ähnliche Bilder schon einmal gelikt hat. Im Feed fehlen solche Hinweise.
Macht der algotithmenbasierte Instagram-Feed glücklich? Das ist der passende Song dazu: „Happy Feet“ von Paolo Conte.
Die Macher*innen von Instagram haben sich lange darüber bedeckt gehalten, wie das fotosoziale Netzwerk zumindest in technischer Hinsicht funktioniert. Pressevertretern wurde kürzlich Einblick in den Algorithmus gewährt. Selbstverständlich war auf dieser Veranstaltung nicht der Programmcode selbst zu sehen. Stattdessen wurden Grundprinzipien der technischen Funktionsweise erläutert, die vielen Nutzer*innen bekannt sein dürften. Wen es interessiert, der findet in einigen Texten Informationen darüber, wie der Instagram-Algorithmus funktionieren soll. Eine gewisse Intransparenz gehört sicherlich dazu — quasi als Betriebsgeheimnis, das man nicht preisgeben möchte.
Das undurchschaubare Zustandekommen des Feeds verunsichert nach wie vor viele Nutzer*innen und ist zum Dauerthema geworden. Manche Instagramer*innen stellen sich mittlerweile die grundsätzlichere Frage, warum es diesen Feed überhaupt geben muss. Die Alternative zum algorithmenbasierten Feed ist der chronologische Feed, wie er bis Juli 2016 existierte. Er ist längst zur Projektionsfläche für die gute alte Instagram-Zeit geworden.
Der algorithmenbasierte Feed war seit seiner Einführung Objekt wilder Spekulationen, weil er die bisherigen Gepflogenheiten auf Instagram auf den Kopf stellte. Im Gegensatz dazu passte der chronologische Feed recht gut zu der Behauptung, das Internet sei demokratisch und jeder könne dort seine Meinung äußern. Damit ist konkret gemeint, dass man etwas publizieren darf, wofür man vielleicht keinen Verleger findet. Die Rede von der Demokratisierung des Publizierens unterschätzt aber die Differenz zwischen Produktion und Vertrieb. Ich kann eine Meinung produzieren, aber sichtbar für möglichst viele ist sie nur, wenn ich die richtige Strategie anwende und über die geeignete Plattform verfüge.
Bei Sozialen Netzwerken kommt noch ein weiteres Missverständnis hinzu. Diese Netzwerke sind nicht per se sozial, sondern sie ermöglichen lediglich Kommunikation mithilfe einer Technologie. Hinter den Netzwerken stehen Modelle, wie Sozialität funktioniert. Es ist eine Erkenntnis der Netzwerkforschung, dass ich nicht nur meinen Freund, sondern auch dessen Freund sowie dessen Freundinnen und Freunde beeinflusse. Das Wissen, dass in sozialen Netzwerken indirekte Beeinflussung stattfindet, ist in die Entwicklung solcher Netzwerke wie Facebook und Instagram eingegangen. Aber sind sie deshalb schon sozial? Sicherlich nicht. Sie wären am ehesten dann sozial, wenn Nutzer*innen auch über die Regeln ihrer Kommunikation bestimmen könnten. Davon scheinen aber Anbieter wie Facebook, Twitter und Instagram weit entfernt zu sein.
Instagram wird das Problem nicht los, dass sich Instagrammer über den algorithmenbasierten Feed beschweren. Mindestens zwei Gründe scheinen aus meiner Sicht dafür verantwortlich zu sein: Die Nutzer*innen fühlen sich nicht ernst genommen und, was noch noch bedeutsamer ist, in ihrer Selbstbestimmung beschnitten. Gerade diejenigen, die sich intensiver mit dem Netzwerk auseinandersetzen und sich öffentlich kritisch äußern, haben nicht den Eindruck, dass Instagram sie und ihre Kritik ernst nimmt. Instagram wiederholt nur immer wieder, dass die Nutzer*innen ohne den algorithmenbasierten Feed keine gute Nutzungserfahrung machen können. Die Kritik am Feed beschränke sich auf eine vergleichsweise kleine Minderheit, der die Masse zufriedener Nutzer*innen gegenüberstehe.
Zumindest offiziell verbindet Instagram mit dem algorithmenbasierten Feed eine verbesserte Nutzungsqualität, während kritische Nutzer*innen dies für einen Qualitätsverlust halten und sich in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt fühlen. Es gibt viele Gründe, weshalb ein Nutzer einem Account folgt und dessen Bilder likt oder nicht. Aus dem bisherigen Nutzungsverhalten eines Nutzers abzuleiten, in welcher Reihenfolge ihm Bilder oder Videos angezeigt werden, empfinden viele als Übergriff. Um es zuzuspitzen: Ja, es stimmt, dass in meinem Küchenschrank die Tassen, die ich täglich benutze, vorn stehen. Die anderen Tassen stehen weiter hinten und ich prüfe nicht jeden Tag, ob sie noch da sind und wie sie aussehen. Aber die Unterschiede zwischen einem Küchenschrank und Instagram liegen auf der Hand: Einzelne Accounts sind erstens keine Tassen. Und zweitens stelle ich die Tassen an ihren Platz, nicht die Hersteller des Schrankes oder die Geschirrfabrikanten. Was ich sagen will: Das Abonnement von Accounts erfolgt mit Bedacht. Dementsprechend halten kritische Nutzer*innen Instagrams Sortierung von Inhalten für eine Zumutung.
Eine Folge dieser Zumutung ist, dass nicht wenige Instagrammer den Algorithmus selbst zu beeinflussen versuchen und Engagement simulieren, ob nun mit Bots oder Pots. Nachdem diese Praxis gut zwei Jahre kultiviert werden konnte, reagiert Instagram mit einer Anpassung des Algorithmus. Es scheint ein technologisches Wettrennen zu sein: Wer kann am besten die Sichtbarkeit technisch beeinflussen?
Neben den technischen Aspekten gibt es aber auch eine kulturelle Dimension, die mit der Technologie verknüpft ist. Ist es wünschenswert, dass alles, was technisch möglich ist, von Instagram und/oder von den Nutzer*innen auch realisiert wird? Dass sich Instagram über die Funktionsweise des Algorithmus weitgehend ausschweigt und Bots und Pots nicht verhindert, scheint dafür zu sprechen, dass die Macher*innen des Netzwerks die kulturelle Dimension noch immer nicht hinreichend beachten und die damit verbundenen Fragen zumindest nicht öffentlich stellen. So lange dies nicht passiert, können sich jene Nutzer*innen bestätigt fühlen, die in vielfältiger Weise Engagement simulieren, indem sie Follower oder Likes kaufen. Für den Rest der Instagram-Community stellt sich die Frage, ob der algorithmenbasierte Feed wirklich glücklich macht und die Nutzungserfahrung verbessert. Was meint Ihr?