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  • AutorenbildJoerg Nicht

Erst mal reden, getanzt wird vielleicht später. Ein Besuch im Clubhouse

Ist Clubhouse das neue, große Ding? Nach einer guten Woche kann ich sagen: Auf jeden Fall ist die App eine wunderbare Ablenkung und ich war bei einigen interessanten Gesprächen dabei. Als passionierter Radiohörer gefällt es mir, anderen Leuten zuzuhören. Vielleicht sind es gerade die Stimmen, die uns fehlen in dieser Zeit der pandemiebedingten Kontaktreduktion. Denn wir nehmen an allen möglichen Meetings teil. Aber wegen diverser technischer Schwierigkeiten hören wir die Stimmen der anderen oft gar nicht so gut. Die App Clubhouse setzt auf das iPhone, und das nutzt man am besten mit Headset. Dessen Mikrofon zeichnet die Stimme viel besser auf als ein Laptop-Mikro. Das erzeugt bei Clubhouse oft eine sehr gute Stimmenpräsenz.


Ein Frau läuft durch die Straßen von New York City. Sie schaut auf ihr Smartphone, das mit einem Headset verbunden ist.
Zuhören und Reden

Wie funktioniert die App?


Nach der Anmeldung kann man Interessen eingeben und erhält Vorschläge, wem man folgen kann. Die Gespräche finden in sogenannten Räumen statt, in denen es Moderatoren und Zuhörer gibt. Man kann von der Rolle des Zuhörers in die Rolle eines Sprechers wechseln, indem man vom Moderator auf die Bühne geholt wird. Prinzipiell kann also jeder jedem Gespräch zuhören, aber nicht in jedem Fall kann man mitreden. Allerdings steht es jeder Nutzerin frei, einen eigenen Raum zu eröffnen. Die Gespräche werden von der App aufgezeichnet. Sollte es Beschwerden geben, so wird auf das Material zurückgegriffen; andernfalls wird es gelöscht. Wie erwähnt, funktioniert die App bisher nur auf dem iPhone und auch nur auf Einladung.


Welche Themen werden bei Clubhouse besprochen?


Wahrscheinlich gibt es nichts, worüber nicht gesprochen wird. Ich nutze die App seit einigen Tagen und habe an Gesprächen zu Instagram, zur Fotografie und zu Fototechnik teilgenommen. Es gibt aber auch einen „Ruheraum“, in dem gar nicht geredet wird, was sicherlich nicht ganz ernst gemeint ist. Einige Räume dienen dem Zweck, sich zu vernetzen, d. h. man stellt sich und seine Interessen vor und sucht nach Gleichgesinnten. Andere Räume bieten Beratung zu unterschiedlichen Themen an: Wie funktionieren Instagram, TikTok etc.? Was muss ich tun, um dort erfolgreich zu sein? Es gibt auch Räume mit weniger Bodenhaftung, etwa zur Astrologie. Generell scheint mir Lebensberatung derzeit ein wichtiges Segment zu sein.


Warum ist die App so schnell so populär geworden?


Die App ist aus meiner Sicht sehr gut programmiert: Sie ist einfach gestaltet, die Tonqualität ist hervorragend. Einen exklusiven Zugang zu schaffen, die Nutzer auf eingeladene Personen zu begrenzen, ist einerseits cleveres Marketing. Anderseits sorgt es für Regulierung, denn der Einladende wird im Zweifel dafür verantwortlich gemacht, wenn ein Eingeladener gegen die Regeln verstößt. Im Ernstfall muss auch der Einladende die App verlassen.

Es gibt außerdem ein anthropologisches Argument dafür, warum Clubhouse die App der Stunde ist: Man kann dort Geschichten erzählen. Und dem Geschichtenerzählen kann man die Funktion zuschreiben, die Furcht zu vertreiben. Das meinte zumindest der Philosoph Hans Blumenberg. Gerade wenn man viele Nachrichten konsumiert und sich in Sozialen Netzwerken aufhält, kann das eigene Unbehagen an der Situation sehr groß sein. Insofern ist es keine Nebensächlichkeit, Furcht und Unbehagen einzuhegen. Und die Zeit kann man sich mit Clubhouse natürlich auch vertreiben. Das mündliche Erzählen von Geschichten, sei es über sich selbst oder über ein Thema, ist in gewissem Sinne leichter zu erledigen als in schriftlicher Form oder auch per Foto. Nicht weil das Schreiben aufwendiger ist, sondern weil das Erzählen als Kulturtechnik eine längere Tradition hat und diskursiver ist. Trotz der Zugangsbeschränkungen ist Clubhouse insofern barrierefreier, weil es auf mündliche Rede setzt.


Nach einer Dekade, in der Soziale Netzwerke so viel Aufmerksamkeit absorbiert haben, sind bei vielen Nutzer*innen Ermüdung und Ernüchterung eingekehrt. Das hat nicht nur mit der Rolle solcher Netzwerke in der politischen Kommunikation zu tun. Vielmehr ist das Rollenspiel in Sozialen Netzwerken in den letzten Jahren so extrem geworden, dass jeder weiß, welche Inszenierungen dort stattfinden, welches Stück dort aufgeführt wird. Die Sehnsucht, hinter die Kulissen zu blicken, wird wiederum erfüllt mit Formaten wie Stories, Fleets oder Statusmeldungen. Aber oft hat man das Gefühl, die Person, die hinter dem Account steht, nicht zu fassen zu bekommen. Wenn man nun aber die Stimme einer Person hört, wie sie einen Gedanken entfaltet, kann man das Gefühl haben, sie jetzt „richtig“ kennenzulernen. Das Ungefilterte, Direkte und vermeintlich Intime von Clubhouse-Unterhaltungen hat für alle Beteiligten eine starke Anziehungskraft. Im Vergleich zu Podcasts oder Videos, von denen mittlerweile jede/r wissen kann, dass sie geschnitten oder inszeniert sind, wirken Clubhouse-Talks authentisch. Das kann dazu verleiten, Dinge zu sagen, die man einer breiteren Öffentlichkeit vorenthalten würde. Ein Gewinn?


Wird sich Clubhouse durchsetzen?


Um die Frage zu beantworten, ob die App nur ein kurzer Hype ist oder sich langfristig etablieren wird, möchte ich etwas weiter ausholen. Eine Einschätzung nach kurzer Nutzungszeit zu geben, ist nicht leicht. Schauen wir noch einmal auf das Grundprinzip von Clubhouse: Gespräche und Erzählungen werden in den Online-Bereich überführt, und zwar in Form eines Sozialen Netzwerks. Clubhouse macht etwas ähnliches wie Instagram im Bereich der Bildkommunikation. Es folgt dem offline bekannten Modell der Podiumsdiskussion bzw. dem Talkradio, bei dem eine Gruppe von Menschen miteinander spricht und Zuhörer auch etwas beitragen können. Das Format schien sich im Radio überlebt zu haben. Und Podiumsgespräche tendieren oft zu einer Diskussions-Simulation, bei der verschiedene Positionen lustlos in Stellung gebracht werden.


Clubhouse ist hier noch etwas anders. Denn jeder kann einen eigenen Raum eröffnen. Entsprechend vielfältig sind die Moderationen und Diskussionen. Es kann um grundsätzliche Fragen gehen wie „Ist ein Smartphone eine Kamera?“. Erfolgreiche Talks mit im Schnitt 1.000 Zuhörer*innen drehten sich um Follower-Wachstum auf Instagram, und das über sechs Stunden. Das Gesprächsformat war weniger eine Diskussion, sondern folgte dem Muster „Laien fragen Experten“. Dass ein solches Gespräch so populär ist, hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass nach wie vor unklar ist, wie die Mechanismen der Instagram-App genau funktionieren, und viele Nutzer*innen das Bedürfnis haben, sie zu verstehen, um bei dem Spiel (in solchen Runden ist oft von „Game“ die Rede) zu gewinnen.


Durch rege Moderatoren-Aktivität haben einige Nutzer*innen (meist sind es Männer) auch schon eine Followerschaft aufgebaut, was in der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie als Währung zu verstehen ist. Das könnte bereits ein Indiz dafür sein, warum Clubhouse kein Game-Changer ist: Die Mechanismen sozialer Netzwerke sind inzwischen hinlänglich bekannt und jedes neue Netzwerk bietet denjenigen, die früh dabei sind, die Chance, zum Experten zu werden. Entsprechend sind viele Akteure vertreten, die auch in anderen Sozialen Netzwerken aktiv sind und nun auch hier eine bedeutsame Rolle spielen, d. h. eine große Followerschaft aufbauen wollen. Daran ist an sich nichts auszusetzen. Aber es ist eben vorhersehbar und wird irgendwann langweilig. Denn worüber wird geredet, wenn Selbstvermarktung die treibende Kraft ist? Letztlich über die eigene Präsenz in Sozialen Netzwerken oder über Clubhouse selbst. Wir werden sehen, inwieweit sich eine Themenvielfalt etablieren lässt und wer die Themen setzen kann.


Dass die App zum führenden Sozialen Netzwerk wird, zumindest in der Form, in der sie jetzt existiert, glaube ich nicht. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens verbraucht die Teilnahme viele Ressourcen (vor allem Zeit), ohne dass am Ende ein Produkt vorliegt, das später noch konsumiert werden könnte. Der Lohn für die Moderatoren darin, Aufmerksamkeit zu erhalten in Form einer Followerschaft. Die könnte nützlich sein, wenn etwa ein Unternehmen einen Moderator beauftragt, ein Gespräch zu organisieren, was derzeit verboten ist. Für Zuhörer bzw. Konsumenten besteht der Gewinn derzeit darin, Wissen abzuschöpfen oder Stimmen zu hören, die einem im Pandemie-Alltag vielleicht fehlen. Ein Nachteil könnte sein, dass die Kommunikation nicht von größerer Dauer und somit instabil ist. Man kann sich einen Talk nicht im Nachhinein anhören und man kann auch nicht nach Talks suchen, die stattgefunden haben.


Zweitens nutzt die App vorhandene Technik zwar gekonnt aus, aber sie ist nicht an eine neue Gerätekategorie gebunden. Foto (und Video) als Mittel der Kommunikation in Sozialen Netzwerken setzten sich durch, als mit den Smartphones nicht nur Kameras immer und überall zur Verfügung standen, sondern die Bildschirme groß genug waren, um etwas zu erkennen. Neue Soziale Netzwerke müssen sich, solange es keine neue Technik gibt, die unser Nutzungsverhalten grundlegend ändert, in den Grenzen der alten Technik bewegen. Hieran laborieren auch die „alten Netzwerke“ wie Instagram, Twitter und TikTok: Es werden zu viele Inhalte produziert und es steht zu wenig Zeit zur Verfügung, um all diese Inhalte zu konsumieren.


Miteinander reden und Geschichten zu erzählen – gerade jetzt, wo die Kontakte so reduziert werden müssen – hat eine so große Bedeutung, dass der Clubhouse-Hype über mehrere Wochen anhalten kann. Beweisen muss die App sich im Sommer, wenn wir hoffentlich wieder durch die Lande fahren können. Aber eins hat die App schon jetzt geschafft: Ich habe die Stimmen vieler Menschen gehört, von denen ich sonst nur Bilder kannte.


Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht? Seht Ihr das anders? Schreibt mir gern eine eMail oder eine Nachricht auf Instagram.

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