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  • AutorenbildJoerg Nicht

In der Traumfabrik: Landschaften und Portraits auf Instagram


Seit ich ihn kenne, postet Chris Collins auf seinem Instagram-Account @Wisslaren Landschaftsfotos. Kürzlich zeigte er jedoch eine Serie von Aufnahmen aus Dubai. Neben Hochhäusern sind drei Portraits zu sehen, die er in der „Altstadt“ von Dubai aufgenommen hat. Das dritte dieser Fotos hatte eine besondere Bildunterschrift: Chris fragte seine Follower, warum sie seine Portraits nicht in gleichem Maße mögen wie seine Landschaftsfotos. Die Landschaftsfotos erhalten zwischen 20.000 und 30.000 Likes, auch die Stadtansichten erreichen solche Like-Zahlen. Die Porträts erhielten jedoch „nur“ zwischen 7.000 und 10.000 Likes, also rund zwei Drittel weniger.[1]

Chris’ Portraits sind mir besonders aufgefallen. Chris verändert seine Motive und seine Bildsprache, vor allem seit er mit einer Hasselblad arbeitet. Ich folge seinem Account schon seit fast fünf Jahren und war mit ihm schon auf Reisen. Die Bildunterschrift zu dem Portraitfoto hatte ich gelesen. Überrascht war ich aber, wie viele Follower auf Chris’ Frage antworteten – manche in erstaunlicher Länge und sehr differenziert. Bis heute sind 341 Kommentare unter dem Foto zusammengekommen.

Schöne Landschaft - geht immer

Schöne Alpen (2014) - auch auf Flickr erfolgreich

Ich habe mir die Antworten angeschaut und zu ordnen versucht. Meine erste Betrachtung, die ich hier vorstelle, versucht gar nicht erst, umfassend zu sein. Ich greife vielmehr Kommentare auf, in denen der Erfolg der Landschaftsfotografie erklärt wird. Doch zunächst, damit kein falscher Eindruck entsteht, soll kurz erwähnt werden, dass es auch positive Stimmen zu den Portraits gibt.

Viele Nutzer beantworten nicht Chris’ Frage, sondern betonen, wie sehr sie sein Bild und Portraits im Allgemeinen mögen. Doch gefragt hatte er eigentlich all jene, die Landschaftsfotos liken und kommentieren, aber nicht Portraitfotos. Zu jenen, die sich für Portraits aussprechen, zählt auch Pete Halvorsen, ein Fotograf aus Los Angeles, der Portraits nicht einfach nur mag, sondern liebt.

Eine Reihe von Chris’ Followern bekennt, vorrangig an Landschaftsfotos interessiert zu sein: „Ich mag Landschaftsfotos mehr als Portraitfotos“, schreibt Jennifer @bamajenn87. Die Leute folgten dem Account @wisslaren wegen der Landschaftsfotos. Jennifer schreibt weiter, sie möge nun einmal Landschaften und Tieren mehr als Menschen, was sich vielleicht traurig anhöre. Aber sie sei ehrlich. Sie bringt aber noch ein weiteres Argument ins Spiel: Ein Portrait benötigt gewöhnlich mehr Zeit, um es wertzuschätzen. @in2thewi1d schätzt sich als etwas introvertiert ein und fühlt sich unwohl unter Menschen. Er/sie ist sich nicht sicher, ob Landschaftsfotos für ihn/sie auch für Flucht, Freiheit, Abenteuer und Einsamkeit stehen – etwas, wonach er/sie sich sehne, das er/sie aber nicht im realen Leben bekommen könne.

Portraits erinnern uns an das reale Leben, das nicht sonderlich glamourös oder aufregend ist. Sonnenuntergänge, stimmungsvolle Straßenbilder und Berge regen hingegen unsere Fantasie an – das macht solche Bilder spannender, meint @lawsonmo. Interessant ist, dass hier Landschaften und Straßenszenen Portraits gegenübergestellt werden. Aus meiner Sicht lässt sich aus den Likezahlen, die Straßenszenen im Vergleich zu Landschaften bekommen, eindeutig eine Tendenz zur Stadtflucht herauslesen.

Beppe

Portrait

Einige, die Landschaftsfotos mehr mögen als Portraits, aber auch einige, die Portraitfotos mehr mögen als Landschaftsfotos, analysieren Chris’ Account: Wer @wisslaren folge, der erwarte nun einmal Landschaften und keine Portraits.

Gewöhnt man die eigenen Follower mit den Fotos, die man zeigt, an bestimmte Motive? Dass Motive variieren können, beweist Ezgi Polat auf ihrem Account: Food, Katzen (oder eine Kombination aus beidem), Portraits und Landschaften wechseln sich ab. Ihre beiden Katzen sind natürlich umwerfend und sie nicht zu mögen, ist wohl unmöglich. Das geht ca. 17.000 anderen Nutzern vermutlich ganz ähnlich, während eines der wunderbaren Portraits, die Ezgi macht, auch mal nur 5.000 Likes bekommt.

Auf einigen Accounts sind solche Schwankungen in den Like-Zahlen nicht oder zumindest nicht so leicht nachzuvollziehen, da Fotos gelöscht werden. Aus meiner Sicht betrifft dies zwei Typen von Bildern: Erstens solche, die nicht so viele Likes bekommen, wie sie eigentlich (d. h. nach Meinung des jeweiligen Accountbetreibers) verdient hätten. Zweitens werden Bilder gelöscht, die im Vorschaumodus von Instagram nicht so gut in die Bildserien hineinpassen. Manchmal habe ich aber auch den Eindruck, dass Bilder gelöscht werden, damit nicht ganz so stark auffällt, dass bestimmte Orte immer wiederkehren. Auf meinem Account ist es beispielsweise der Berliner Dom, der immer mal wieder auftaucht. Auch Spiegelungen, Fahrräder und Schatten sind Motive, die wiederkehren.

Doch kommen wir zurück zu Chris’ Frage und zu der Auffassung, dass Landschaftsfotos etwas repräsentieren können, das man selbst nicht hat. Emily @ehruby meint, auf Instagram werde schöne Fotografie gezeigt. Wenn sie Menschen sehen wolle, schaue sie bei Facebook nach: „Because Instagram is less about people and more about beautiful photography - if I want people I go to Facebook.“

Lennart Pagel @lennartpagel, der auf Instagram großen Erfolg hat, erklärt die Vorliebe für Landschaftsfotos so: Jeder liebe Landschaften, das sei „schon immer“ so gewesen. Als Indiz führt er Landschaftskalender an, die es „seit Ewigkeiten“ gebe. Doch kaum jemand hänge sich Kalender mit Porträts von fremden Menschen in seine Wohnung – außer vielleicht solche mit halbnackten Mädchen.

Warum haben Menschen Landschaftsfotos schon immer mehr gemocht als Portraitfotos? Diese fast schon anthropologische Frage beantwortet Lennart so: Die meisten Leute folgen Accounts wie dem von Chris nicht, weil die Fotos technisch „gut“ oder allgemein „schön“ seien. Vielmehr regen die Bilder die Phantasie der Menschen an, die sich in das Bild imaginieren. Sie stellen sich vor, an dem Ort zu sein, und beginnen zu träumen. Das funktioniere einfach viel besser mit einem Foto von einem zufälligen Sonnenuntergang, einer zufälligen Straßenszene oder einem Berg unter Sternenhimmel als mit Portraits von fremden Menschen. Nicht zu vergessen sei, dass einige Leute auch bei halbnackten Mädchen zu träumen anfangen. Lennart merkt aber auch an, dass, wenn man nur das auf seinem Account zeigt, was die Menschen am meisten mögen, es zu einfach und zu langweilig wäre. Er schlägt vor, mehr über die portraitierte Person zu erzählen oder darüber, weshalb man das Foto gemacht hat. Dann würde ihn ein solches Portrait auch mehr fesseln.[2]

Interessant an Lennarts Position ist, dass er sich in die Betrachter seiner Bilder hineinzuversetzen versucht: Sie wollen seiner Meinung nach aus der „Realität“ fliehen. Diese Neigung zum Eskapismus, so könnte man ergänzen, wird bedient, wenn Träume wie am Fließband produziert werden. Traumhafte Landschaften, zum Teil am Computer generiert, bringen die Menschen vielleicht am leichtesten zum Träumen. Folgt man Lennart, dann treten die technische Perfektion und das ästhetische Kriterium der „Schönheit“ der Bilder demgegenüber in den Hintergrund. Doch was macht nun ein gutes Portrait aus? Um diese Frage soll es in meinem nächsten Blogartikel gehen.

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