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AutorenbildJoerg Nicht

Mehr als Seen sehen


Kurz vor neun Uhr morgens in Kuopio. Am Hafen laufen Jogger vorüber. Ein paar Reisende finden sich vor einem alten Schiff ein, der M/S Puijo. Der Check-In wird auf dem Schiff erledigt. Marco sitzt in einer Art Kabine, vor sich eine Liste, auf der er abhakt, wer an Bord gekommen ist. Daneben liegt ein kleines Gerät zum Bezahlen, mit dem die Kreditkarten eingelesen werden.

M/S Puijo

Kari startet den rumpelnden Diesel, 500 PS bringen uns durch Seen und Kanäle von Kuopio nach Savonlinna. Marco und Iiro, das zweite Crewmitglied, hohlen die Taue ein. Und los geht es. Das Schiff nimmt schnell volle Fahrt auf. Die mehr als 100 Kilometer lange Fahrt auf der Heinävesi-Route dauert gut 10 Stunden, dazwischen liegen mehrere Haltestellen und Schleusen. Die Häuser am Hafen werden schnell kleiner. Den Aussichtsturm von Kuopio, der ebenfalls Puijo heißt und aussieht wie eine fliegende Untertasse, die in den 60er Jahren auf einem Schornstein gelandet ist, kann man aber noch längere Zeit sehen.

Leinen los

In der Küche kocht Riitta, denn der untere Fahrgastraum des Schiffes dient auch als Restaurant und Bar. Hier frühstücken auch jene Gäste, die Hin- und Rückfahrt gebucht haben und in einer der vier Kabinen übernachten. An Bord sind zwei ältere Damen, die sich auf Niederländisch unterhalten. Schnell kommen wir miteinander ins Gespräch: Die eine Dame ist Finnin, die lange in den Niederlanden gelebt hat und vor einigen Jahren nach Kuopio zurückgekehrt ist, die andere ist eine in Deutschland geborene Niederländerin, die ihre finnische Freundin besucht. Ich erfahre, dass der Sommer in diesem Jahr hier eher verregnet war. Erst in der letzten Woche habe er so richtig begonnen, der finnische Sommer. Finnischer Sommer – das heißt etwas mehr als 20 Grad Celsius und weiße Wolken am blauen Himmel. Einen Vorteil hat der viele Regen: die Pilze wachsen reichlich. Das macht mich hellhörig, denn Urlaub in Finnland heißt für mich auch: Pilze sammeln.

Die beiden Damen erzählen, dass in Kuopio vor kurzem ein Bär von einem Krankenwagen angefahren wurde. Der Bär habe den Zusammenstoß nicht überlebt. Die Niederländerin findet, die finnische Idylle trüge, denn wer möchte schon einem Bären begegnen, wenn er in einem Sommerhaus die Einsamkeit der Wälder und Seen genießt? Apropos Sommerhaus: Die Finnin meint, dass fast jeder Finne ein Mökki, ein Sommerhaus, habe. Wenig später höre ich, dass es zwei Millionen Mökkis in Finnland gibt und damit - bei gut fünfeinhalb Millionen Einwohnern – mehr Sommerhäuser als Autos.

Wenn man auf finnischen Straßen unterwegs ist, sieht man oft nur Wald oder Wege, die in den Wald führen. Eine Schiffsreise kann diesen Eindruck korrigieren: Fährt man mit der M/S Pujo über die Seen, dann sieht man auch all die Wohn- und Sommerhäuser, zu denen die kleinen Straßen hinführen. Das Leben spielt sich hier am Wasser ab. Dort sind die Mökkis und dort sind auch die Menschen. Wer Finnland kennenlernen möchte, sollte eine Bootstour machen, ob mit dem Kanu oder auf einem alten Dampfer.

Sauna am See

Die Inseln treiben vorbei, mir erscheint die Seenlandschaft wie ein Labyrinth. Die Seenkarte, die im Fahrgastraum ausliegt, gibt genaue Auskunft über die Route des Schiffs. Aber es sind so viele Details, dass ich mich nicht zurechtfinde und lieber in die Landschaft schaue. An einem der Ufer steht ein altes Schiff, das ähnlich aussieht wie die M/S Puijo und offenbar als Sommerhaus genutzt wird.

Schiffe wie die M/S Puijo haben eine genormte Größe, die von der Größe der Schleusen, die sie passieren müssen, bestimmt wird. Die Puijo war ursprünglich ein Frachtschiff und wurde erst in den 1970er Jahren zum Passagierschiff umgebaut. Im Hafen von Kuopio und Savonlinna liegen mehrere solcher Schiffe, die in der Regel kleinere Rundfahrten durch die Seenlandschaft anbieten.

Die beiden Damen steigen an der ersten Station unserer Reise aus. Sie fahren von hier weiter, um das orthodoxe Kloster in Valamo zu besuchen. Nun beginnt der vielleicht schönste Teil der Reise, denn das Schiff fährt durch schmalere Seen und muss mehrfach einige Zentimeter in Schleusen abgesenkt werden. Von den Schleusen aus sieht man die Stromschnellen. Durchsagen in Finnisch und Englisch erläutern, wo wir uns gerade befinden.

Bei jedem Halt steigen neue Fahrgäste zu, hin und wieder steigt auch jemand aus. Die Reisenden sind meist ältere Damen und Herren. Aber es gibt auch jüngere Paare. Sie alle schauen in die Landschaft, lassen die Inseln an sich vorbeitreiben, plaudern miteinander. Eine gelassene Stimmung, die Zeit scheint fast stillzustehen oder verrinnt zumindest langsamer. Das Gefühl der Entschleunigung, das sich auf einer solchen Fahrt einstellt, ist einer der Gründe, warum ich schon seit vielen Jahren regelmäßig nach Finnland fahre.

Zeit zum Schauen

Kurz vor Ende der Reise verkündet die Durchsage, dass man nun die Skyline von Savonlinna sehen könne: ein Kirchturm und Häuser, die sich an einen markanten Hügel schmiegen. Das Schiff umrundet fast eine der Inseln, auf der die Stadt liegt. Dazu wird die Eisenbahnbrücke hochgehoben und die Pontonbrücke, die zur berühmten Burg Ovonlinna führt, wird verschoben. Nicht zuletzt wegen dieser Burg, auf der jeden Sommer Opernfestspiele stattfinden, ist die Stadt bekannt. Aufgrund der großen Strömung, die hier herrscht, ist das Wasser an dieser Stelle auch im Winter eisfrei, während die Seen sonst zufrieren. In früheren Zeiten bot dies der Burg einen natürlichen Schutz. Wer den finnischen Sommer kennt, die gleichmäßig milden Temperaturen und die langen, hellen Tage, der kann sich kaum die Härte dieser Winter vorstellen.

Wer die Schiffsreise in Savonlinna beendet, kann weiterfahren in das knapp 30 Kilometer entfernte Punkaharju. Das geht unter anderem per Zug. Die vorletzte Station heißt Lusto. Der alte Bahnhof, ein repräsentativer Holzbau, kündet von einer glorreichen Vergangenheit Anfang des letzten Jahrhunderts. Wenige Meter von hier liegt das finnischen Waldmuseum und gleich dahinter das ehemalige Hotel Finlandia, heute ein Sanatorium. Von hier aus kann man den natürlichen Landrücken, der Punkaharju berühmt gemacht hat, auf einem der Wanderwege erkunden. Durch die Kiefern erblickt man die typische Landschaft: große Seen und kleine Inseln. Wer mit dem Auto anreist, verlässt die Hauptstraße Nr. 14 und biegt auf die alte Landstraße ein.

Hotel Punkaharju

Am Hochufer befindet sich das Hotel Punkaharju – ganz aus Holz, mit Turm und in altrosa, mit kleinen Hütten, einer Strandsauna und einem alten Schiff, das nach Savonlinna fährt. Das Hotel wurde gerade frisch renoviert und neu eröffnet. Mit ein wenig Glück trifft man die Hausherrin Saimi Hoyer, ein früheres Model. Nach dem Ende ihrer Karriere ist sie zur Expertin für Inneneinrichtung geworden, was man dem Haus zweifelsohne ansieht – etwa in der geschmackvollen Lobby, in der bunte Kristallvasen zu Leuchten umfunktioniert wurden. Die Kaffeetassen im Speiseraum tragen die Insignien des Hotels, doch jeder Eierbecher ist ein individuelles Stück vom Trödel. Zum Frühstück serviert man vorzugsweise regionale Produkte. Die gebratenen Würstchen werden etwa kombiniert mit frischen Pfifferlingen, auf Finnisch kantarelli. Nicht fehlen darf auch puuro, der finnische Haferbrei, mit frischen Beeren – ein traditionelles Frühstücksgericht, das auch dann nicht aus der Mode kam, als in vielen anderen westlichen Ländern noch Nutellabrote gegessen wurden. Die Finnen scheinen eben zu verstehen, wie man auch kleine Besonderheiten bewahrt.

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