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AutorenbildJoerg Nicht

Wo die U-Bahn zur Hochbahn wird


Nur wenige Schritte von der Kreuzung Ecke Schönhauser Allee befindet sich ein anderer Lieblingsort von mir: Die Rampe, auf der die U-Bahn vom unterirdischen Teil ans Tageslicht gelangt. Die Sicht auf die U-Bahnen zieht auch Kinder magisch an. Nicht alle Eltern lassen sich mitreißen. Wer zuhört, wie Kinder argumentieren, um nur noch diese eine, letzte Bahn beobachten zu dürfen, versteht, weshalb manche Eltern einen großen Bogen um diesen Platz machen.

Wenn ich Gäste durch den Prenzlauer Berg führe, dann zeige ich ihnen auch diesen Platz. Fast alle sind genauso begeistert von diesem Ort wie die Kinder. Woran liegt das? Für Liebhaber der Zentralperspektive ist hier alles dabei: Zwei Gleise laufen parallel, und durch die Perspektive scheinen sie aufeinander zuzulaufen.

U-Bahn im Nebel

Im Herbstnebel am Schönsten – die U-Bahn vor der Einfahrt in den Tunnel

Hinzu kommt, dass durch die Rampe die Gleise nach oben führen. Dadurch entsteht eine besondere Tiefe und Räumlichkeit, die gerade auch auf kleinen Smartphone-Displays gut erkennbar ist. Es ist ein sozusagen das perfekte Instagram-Motiv, das auch mit dem Smartphone gut fotografiert werden kann. Denn das Smartphone zeigt durch die Kombination von Weitwinkellinse und kleinem Sensor alles scharf; um Tiefe in das Bild zu bringen, sind Linien, wie sie die Gleise und der Betonsims erzeugen, ideal.

Am Ende ist auch noch der U-Bahnhof selbst zu sehen. Und an der Seite befinden sich Graffitis. Eines davon kündet von Love, True Love. Ob die „Weil wir dich lieben“-Kampagne der Berliner Verkehrsbetriebe davon inspiriert wurde?

Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal ein Foto von dieser Rampe gemacht habe. Ich müsste tief in meinem Archiv wühlen.

Dass der Ort schon viele Male fotografiert wurde, wundert mich nicht. Für mich ist es einer jener Orte, an denen man auf dem Boden den Punkt markieren könnte, von dem aus man die beste Sicht hat. Ich gebe Gästen noch den Hinweis, auf das Love-Graffiti zu achten, und dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.

Aber manchmal passiert eben doch das Unerwartete: Jemand findet eine neue Sicht auf das Altbekannte. Man kann die Rampe auch von der Seite fotografieren, wodurch das Graffiti besser zum Vorschein kommt. Es ist vielleicht nicht das perfekte Foto für Instagram, dafür wird aber die Beziehung zwischen dem Gelb der U-Bahn und dem Graffiti deutlich. Mit anderen fotografieren zu gehen, kann im besten Fall neue Perspektiven eröffnen.

Love Train

Andere Perspektive auf den Tunnel

Ich empfehle, Orte, die schon viele Male fotografiert wurden, selbst zu fotografieren. Man kann das eigene Bild mit Bildern anderer Fotografen vergleichen und sehen, welche Bedeutung unterschiedliche Linsen haben, die verwendet werden. Wenn man oft denselben Ort fotografiert, wie ich das am Beispiel der Schönhauser Allee schon einmal beschrieben habe, lernt man auch, wie sich das Licht über den Tagesverlauf und zu verschiedenen Jahreszeiten verändert. Das dunkle Grün im Sommer reflektiert das strahlende Sonnenlicht ganz anders als gelb gefärbte Blätter im Herbst. Im Sommer wirkt das Licht im Zusammenspiel mit einem blauen Himmel eher kühl, während es im Herbst eher warm wirkt. Wenn ihr immer wieder dasselbe Motiv fotografiert, solltet ihr allerdings nicht versäumen, die Bilddateien mit Stichworten zu versehen oder zu ordnen. Sonst geht es euch wie mir: Ich muss schon eine ganze Weile in meinen Aufnahmen suchen, um ein bestimmtes Bild zu finden.

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